Bilder erinnern

Franziskus Wendels im Gespräch mit Daniel Koep

Daniel Koep:  Franziskus, wir sind uns 2010 zum ersten Mal begegnet, als wir gemeinsam eine Reihe Deiner Gemälde für die Ausstellung „Unscharf Nach Gerhard Richter in der Hamburger Kunsthalle, für die Du auch eigens eine Installation gemacht hast, ausgewählt haben. Die Unschärfe ist ein zentraler Aspekt Deiner Malerei. Für die Wahrnehmung des Betrachters bedeutet das erstmal eine Irritation: die Motive scheinen, ohne feste Umrisse, wie in einen Zustand zwischen ihrer Erscheinung und Auflösung gebannt. Könnte man sagen, dass sich Deine Bilder  eher in einem Bereich des Ahnens als des Wissens bewegen?

Franziskus Wendels: Ahnen finde ich einen schönen Begriff. Ahnung zu haben scheint mir ein sehr wichtiger Aspekt unseres Lebens zu sein. Darin steckt die Offenheit für Neues, eine Neugier für das, was unsere bisherige Erfahrung übersteigt. Das Nähren von Ahnungen ist vielleicht die vornehmste Aufgabe der Kunst.

Daniel Koep:  Spürst Du beim Malen Deinen Ahnungen nach?

Franziskus Wendels: Das ist sicher so, wobei ich viele Motive in meinem Alltag finde. Ich sehe etwas und bin in irgendeiner Weise berührt davon. Oft mache ich mir eine kurze Skizze oder eine Notiz und entwickle dann zu Hause in mehreren Studien eine Idee für ein Bild.

Daniel Koep: Viele Deiner Bilder wirken auf mich sehr anziehend und zugleich haben sie auch etwas Beängstigendes oder, besser vielleicht, etwas Unheimliches. Zum Beispiel Inkognito 9 - dieses Bild einer Treppe in der Dunkelheit, die ins Unbestimmte führt. Ich weiß nicht, ob ich da rauf gehen würde.

Franziskus Wendels: Genau diese Spannung sollen die Bilder haben. Sie sollen das Gefühl erzeugen, gleich passiert etwas. Ich bewundere das bei vielen französischen Filmen. Man sieht, wie jemand um die Ecke geht und hört einen dumpfen Schlag. Der Rest geschieht im Kopf des Betrachters.

Daniel Koep:  Beim Blick auf Deine Arbeiten fällt auf, dass Du in Bildserien arbeitest, die  zumeist monochrom gehalten sind.

Franziskus Wendels: Ja, meistens arbeite ich mehrere Wochen an einem Thema. Bei der Farbigkeit gibt es allerdings durchaus Variationen. Ich probiere fast immer unterschiedliche Farbtöne für ähnliche Motive aus. Mit der Farbe ändert sich die räumliche Wirkung und natürlich auch die Anmutung bei einem Motiv. Rot ist beispielsweise sehr viel flacher als Blau oder Grün, dafür auch sehr viel näher, intimer. Fast alle Bilder sind mehrmals mit leicht variierenden Farben lasiert, wodurch eine komplexere, leicht flirrende Farbigkeit entsteht.

Daniel Koep:  Du hast eine ganz eigene Technik der Malerei entwickelt, bei der Du kaum Spuren des Farbauftrags auf der Leinwand hinterlässt.

Franziskus Wendels: Das ergab sich aus der Beschäftigung mit dem Thema. Licht besitzt ja keine Materialität, darum empfand ich den pastosen Farbauftrag und den expressiven Gestus, die in meiner früheren Arbeit eine Rolle gespielt haben, zunehmend als Widerspruch.  Ich habe früher ja sehr farbig gemalt und war fasziniert von der grellen Buntheit der Städte. Aber irgendwann interessierte mich Licht mehr als Phänomen denn als buntes Leuchten der Neonreklamen.

Daniel Koep:  Die meisten Deiner Bilder zeigen wenig Licht in einer von Dunkelheit bestimmten Umgebung.

Franziskus Wendels: Es gibt einen schönen Satz, der Rembrandt zugeschrieben wird. „Je dunkler man ein Bild macht, umso heller wird es. Man nimmt Licht als Phänomen sehr viel mehr in der Dunkelheit wahr als in einem hellen Raum. Aber auch Dunkelheit interessiert mich sehr. Wir neigen ja heute dazu, Dunkelheit als einen Mangel anzusehen und alles auszuleuchten. Ich empfinde Dunkelheit aber wie einen elementaren Zustand, vergleichbar der Stille.

Daniel Koep: Einige Bilder haben ein erkenntliches Motiv, während andere fast abstrakt erscheinen.

Franziskus Wendels: Richtig. Es reizt mich, Motive soweit zu reduzieren, dass sie kaum mehr als Gegenstand gesehen werden. Sind diese drei waagerechten Streifen in Up and down 13 eine Treppe oder sind es drei Streifen auf einer Fläche?

Daniel Koep:  Aber fast alle Bilder haben eine Räumlichkeit, auch die abstrakteren…

Franziskus Wendels: Ja, aber es bleibt offen, ob es einer ist. Bei vielen Bildern ist der Raum bewusst mehrdeutig. Auch der Standort des Betrachters bleibt oft unklar. Stehe ich in einem Raum und schaue hinaus oder schaue ich von außen hinein? Viele Bilder lassen beide Sichtweisen zu.

Daniel Koep:  Ich würde noch weiter gehen und fragen, ob ich in einer nicht genauer zu definierende Weise schwebe. Die Bilder sind aber auch in anderer Hinsicht mehrdeutig: So fragt man sich zum Beispiel bei den Treppenbildern, ob die dunklen Flächen ein fester Grund sind oder etwa ein Abgrund. Dieses Spannungsverhältnis zwischen dem wohl Vertrauten und dem Moment, wo es plötzlich in etwas vollkommen Unheimliches umschlägt, erinnert mich an die Malerei der Romantik.

Franziskus Wendels: Oh, das überrascht mich. Aber warum nicht. Die Idee der Romantik, dass die Kunst ein Fenster zu einer anderen Realität öffnet, teile ich durchaus. Allerdings habe ich mich nie als Romantiker verstanden. Dafür hat mich die moderne, urbane Welt zu sehr fasziniert. Außerdem konnte ich mit der Betonung des Gefühls nie so viel anfangen.

Daniel Koep: Die Metapher vom Bild als Fenster in eine andere Wirklichkeit scheint mir für Deine Arbeiten besonders zutreffend. Das unbestimmte Schweben, die monochrome Sichtweise, das Nächtliche wie das Licht des Mondes, das im Dunklen wenige Stufen in zarten Schemen sichtbar macht- mir erscheinen Deine Gemälde wie Bilder, die einem im Traum erscheinen. Kannst Du das nachvollziehen?

Franziskus Wendels: Mich interessieren weniger Traumbilder als Erinnerungsbilder, also die Bilder die in unserem Kopf auftauchen wenn wir uns an einen Ort oder eine Situation erinnern. Ich glaube, dass diese Bilder eine ganz eigene Kraft haben, weil sie in unser Unterbewusstes hinein reichen. Auch wenn diese Bilder sehr mit der eigenen Geschichte verbunden sind, so ist es doch interessant, dass wir oft sehr ähnliche Bilder haben und dass wir die Bilder der anderen verstehen können.

Daniel Koep: Kannst Du Dich noch an die Situation erinnern, als Du stehen geblieben bist und Dir des Hochsitzes gewahr geworden bist, den Du in Duell 1 gemalt hast?

Franziskus Wendels: Ja, den Hochsitz habe ich vor vier oder fünf Jahren bei einem morgendlichen Spaziergang gesehen und wusste direkt, dass ich davon ein Bild machen musste. Hochsitze haben etwas Geheimnisvolles, weil man nie genau weiß, ob dort nicht jemand sitzt, der einen beobachtet. Darüber hinaus habe ich viele Erinnerungen an Hochsitze. Wir haben als Kinder oft auf solchen Hochsitzen gespielt. Dass das verboten war und wir immer auch Angst hatten erwischt zu werden, hat den Reiz enorm erhöht.

Daniel Koep: Für die urbane Welt hast Du ja auch eine sehr eigene und passende Darstellungsform gefunden. Ich meine die raumfüllenden Materialassemblagen, die Du mit phosphoreszierender Farbe bemalst - wie zum Beispiel die Serie „Landflucht.

Franziskus Wendels: Das Konzept dieser Arbeiten ist, dass ich Dinge die ich am Ausstellungsort finde, zusammenstelle zu einem Arrangement, was auf den ersten Blick unscheinbar aussieht, wie eine Ansammlung von Sperrmüll. Ich bemale dann diese Gegenstände mit phosphoreszierender Farbe. Der Betrachter erlebt so  zwei sehr unterschiedliche Realitäten, im Hellen die ernüchternde Welt von ausrangierten Alltagsgegenständen, im Dunkeln die Illusion einer nächtlichen Stadtlandschaft. Auch die räumliche Wirkung ist sehr unterschiedlich. Im Hellen steht man vor Dingen in einem begrenzten Raum, im Dunkeln tut sich eine große Weite auf.

Daniel Koep: Und das wirkt wie eine Verzauberung des  Alltäglichen.

Franziskus Wendels: Die Reihenfolge des Erlebens ist nicht festgelegt. Die Installationen sind mit einer Zeitschaltuhr ausgestattet, die im Minutentakt das Licht an- und ausmacht. Wenn man den Raum also im Dunkeln betritt, erlebt man das Ganze umgekehrt. Dann wird die leuchtende Stadt zu einem Sperrmüllhaufen. Aber vielleicht ist die Reihenfolge gar nicht so entscheidend. Wichtig ist, dass diese beiden Bilder, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben verbunden sind und sich reiben.

Daniel Koep: Der Wechsel vom Wachzustand in den Traum, die Transformation von bewusst Wahrgenommenem in Bilder des Unbewussten, die Metamorphose, die das Alltägliche in eine Vision überführt, scheint mir ein Leitmotiv zu sein. Beschäftigen Dich die prägnanten Bilder der Sehnsucht und der Gefährdung, die Du malst, weiter, wenn Du sie gefunden hast oder ist es eher umgekehrt so, dass Du sie bannen willst, indem Du ihnen auf der Leinwand Form gibst?

Franziskus Wendels: Ich glaube es ist beides. Ich finde diese Bilder indem ich sie mache. Aber sie sind vorher auch schon ein Teil von mir. Aber erst wenn ich sie gemacht habe sind sie ein bewusster Teil meiner Wahrnehmung und meines Denkens. Über das Machen sind sie zu etwas geworden, mit dem man umgehen kann. Insofern habe ich sie und bin sie zugleich losgeworden.


Das Interview fand im Mai 2012 in Köln statt.
Dr. Daniel Koep ist Kurator der Hamburger Kunsthalle
Inkognito
Sowohl
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