Tayfun Belgin

Franziskus Wendels
Von der Nacht

Gelassen stieg die Nacht ans Land,
Lehnt träumend an der Berge Wand.
Eduard Mörike, Um Mitternacht

Um das Licht zu sehen, brauchen wir die Nacht, das Dunkel. In der Abwesenheit des allgemeinen Tageslichtes erst, ist es uns möglich einzelne, singuläre Lichtquellen wahrzunehmen. Ist es dunkel in der Nacht erhält das Licht erst seine wahre Bedeutung.
Tag und Nacht, Licht und Dunkel sind wohl die wichtigsten Konstanten des menschlichen Lebens. Sie bestimmen den Lebensrhythmus von Mensch und Tier und Pflanzen, bestimmen den Wechsel von Aktivität, Wachstum einerseits, von Ruhe, Erholung andererseits. In der Ruhe, in der Stille der Nacht vollzieht sich Entwicklung, wenn das am Tag, bei Licht erlebte, herab sinkt in die Tiefen des Bewusstseins, sich dort verfestigt, um bei Lichte wieder in Erscheinung zu treten, sich weiterentwickelnd.
Beim Nachdenken über den Ursprung der Kunst erinnern wir uns an die Legende von Plinius der Ältere, der in dem Nachziehen des Schattenprofils eines Mannes durch eine Frau den Beginn der freien künstlerischen Äußerung fand. Auch Platons eher herablassende Meinung, die Malerei sei doch nichts weiter als eine Schatten-, im Sinne von Scheinkunst, spiegelt die Idee, die Kunst entstamme der Nacht, wieder.
Immer wieder ist die Nacht Thema in der Malerei. Bereits auf tönernen Siegeln, entstanden dreitausend Jahre vor Christus, findet sich ein Boot auf dem Meer, über dem die Mondsichel schwebt. Im Alten Orient wie auch in der griechischen Archaik existieren Überlieferungen von Personifizierungen der Nacht als Urmutter, an die sich die Darstellungen der Geburt Jesu im Schutze der Nacht in der Bildtradition vornehmlich der Renaissance anschließen. Aber auch die Nacht in der Krieg geführt wird und Höllenbrand herrscht, ist bereits eine Erfindung der Antike, deren Bildtradition vom Trojanischen Pferd über die apokalyptischen Zeichen der sündhaften Menschheit bei Bruegel und Bosch bis in die moderne Kunst reicht.

Seit 1662 in Paris die erste Straßenlaterne angezündet wurde, ist unsere ursprünglich dualistische Auffassung der Welt, die Einteilung in Tag und Nacht unwiederbringlich aufgehoben. Die Nacht wird seitdem immer mehr zum Tag. Aber hat sich ihr Geheimnis je verloren?
Weniger in abbildhafter Manier, als vielmehr in einer abstrakten, thematisiert Franziskus Wendels diesen Dualismus. In den Interieurszenen der Serie „All We  know gibt der Blick nach draußen, in die Nacht das großstädtische Lichterstrahlen wieder, gleichzeitig aber leuchten auch die Einrichtungsgegenstände im Inneren in einer nahezu fluoreszierenden Weise.  Äußeres und inneres Leuchten erscheinen eigenmächtig und autonom.
Die Nacht ist nicht dunkel. Wendels Werke senden Lichtreflexe aus, zeigen uns nur Schemen. Häufig erscheinen die Bilder wie hinter einem Schleier geborgen. Selten verbergen sie in der erleuchteten Nacht die Geschichte selbst, vielmehr scheint es die Leere zu sein, die uns nach dem Ende entgegentritt: verschleiert, verschwommen, unklar, die Erinnerungen an das jäh Geschehene verdrängt. Wir als Betrachter dieser Blicke können die Geschichte nur erahnen, „Ciao Bella. Der Künstler zieht sich in die diffuse Nacht zurück und hinterlässt ein gleichsam enigmatisch wie faszinierendes Statement.
Neben diesen noch auf konkrete Räumlichkeiten bezogenen Werken entstehen immer wieder auch Arbeiten, die sich dem Bildthema auf eine konkrete Art nähern. Fast könnten diese meist auf wenige geometrisierte Formelemente reduzierten Bilder als Ausschnitte der vorangehend beschriebenen erfasst werden („Orbit und  „Manifest, „Blind Date und „Inner Circle).  In der Arbeit „Gleichung erscheinen uns die hellen und dunklen Flächen als Fensterband, obwohl es sich lediglich um rechteckige Formen handelt, die einerseits hell, andererseits dunkel gehalten sind. Unser wieder erkennbares Sehen macht dieses Band zu einer anonymen Fensterfront.
Licht und Dunkel werden in Wendels Arbeiten zu einem harmonischen Gegensatzpaar.  Wo Licht ist, ist auch Dunkel, so sagt der Volksmund schon seit Jahrtausenden, ohne je ein Bild dieses Malers gesehen zu haben. Durch unseren Blick erkennen wir wie Franziskus Wendels aus der Nacht sein Bild macht. Man möchte ihn den Meister der Bildnächte nennen.


Dr. Tayfun Belgin war von 1990 bis 2003 Kustos und Ausstellungsleiter des Museums am Ostwall. 'Von 2003 bis 2007 leitete er die Kunhalle Krems (Österreich) und seit 2007 ist er Direktor des Osthaus Museums in Hagen.
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