Sonntag
Der Lockstoff der Bilder


Gespräch zwischen Guido Reuter und Franziskus Wendels

Guido Reuter:
Franziskus, Du hältst seit nunmehr über 20 Jahren an der Malerei fest, obwohl es sicher zeitgemäßer Medien gibt, mit denen man heute Kunst machen kann.
Welche Bedeutung misst Du der Malerei als künstlerischem Medium zu und wie erklärst Du Dir ihre nach wie vor große Bedeutung in der Kunst?

Franziskus Wendels:
Es ist ja interessant, dass Malerei nur noch im Kunstkontext eine Rolle spielt. In dem riesigen Bilderkosmos, in dem wir uns bewegen, kommt mit der Hand gemachte Bilder fast nicht mehr vor. Selbst Zeichentrickfilme werde inzwischen meist durch Computer generiert. Malerei findet man nur noch in Galerien und in Kindergärten, und beides hat etwas miteinander zu tun. Ich glaube, dass die Faszination der Malerei in ihrer Unmittelbarkeit steckt. Man macht mit den Händen eine Linie, einen Punkt und eine Fläche und auf wunderbare Weise entsteht daraus etwas. Vielleicht gibt es kaum eine andere Erfahrung, bei der man das Phänomen des Schöpferischen so unmittelbar erfährt wie in der Malerei. Darin liegt auch die Kraft von gemalten Bildern.

Guido Reuter:
Beim Betrachten Deiner Bilder hat sich für mich immer wieder die Frage aufgedrängt, welche Rolle Schönheit in oder für Deine Arbeit spielt. Es ist auffallend, dass gerade die neueren Bilder, die lasierend gemalt sind, etwas sehr Schönes und Anmutiges besitzen. Für viele zeitgenössische Künstler ist Schönheit ja durchaus eine suspekte Angelegenheit. Sie sehen darin etwas Trügerisches, was keine Kraft hat. Diese Auffassung teile ich jedoch nicht so ohne weiteres.

Franziskus Wendels:
Das Problem liegt wahrscheinlich darin, dass Schönheit oft mit Oberflächlichkeit gleichgesetzt wird. Nicht selten tritt beides ja auch zusammen auf, zum Beispiel bei schönen Menschen, die sich ganz auf ihre Fassade konzentrieren. Aber es wäre natürlich ein seltsamer Umkehrschluss anzunehmen, dass Geist nur im Gewande der Hässlichkeit auftreten könnte, oder dass Hässlichkeit automatisch schon Tiefe habe.  Ich würde statt von Schönheit lieber von Attraktivität sprechen oder von dem Charme, den ein Kunstwerk hat. Das finde ich schon erstrebenswert, dass ein Werk versteht, einen Betrachter anzuziehen. Allerdings darf es sich nicht darin erschöpfen. Das eigentlich Interessante ist doch, was mit uns geschieht, wenn wir uns auf ein Werk einlassen, wie sich unsere Wahrnehmung ändert, wie etwas ins Bewusstsein tritt oder Dinge sich neu sortieren.

Guido Reuter:
Könnte man sagen, dass sich die Schönheit in den Arbeiten der letzten Jahre ab einem bestimmten Punkt für den Betrachter zu einer Art Falle entwickelt? Die Art der Malweise - die reduzierte Farbigkeit, die weichen Übergänge zwischen den Farben - wirken erst einmal sehr anziehend. Hat man sich dann aber auf die verführende Wirkung Deiner Malerei eingelassen, entsteht plötzlich ein Wandel: Man wird immer mehr verunsichert von dem, was man sieht oder zu sehen glaubt. Man ist vor die Frage gestellt, ob man das, was man zu sehen meint, wirklich sieht oder vielleicht doch mit etwas anderem konfrontiert wird. Man steht vor den Bildern und sagt innerlich als Ausdruck der Verwunderung: „Oh.

Franziskus Wendels:
Das ist schön gesagt. Dieses „Oh ist wichtig. Es geht mir auch bei anderen Kunstformen so, dass ich es enttäuschend finde, wenn etwas all zu einfach aufgeht und auf einer Ebene bleibt. Das heißt nicht, dass etwas kompliziert sein muss. Im Gegenteil, komplizierte Dinge verbrauchen oft zu viel Energie bis sie zu einem springenden Punkt kommen. Aber etwas muss mehrdimensional sein. Es muss einem die Möglichkeit einer anderen Perspektive eröffnen, etwas auch noch von außen zu sehen oder drum herum gehen zu können. Diese Mehrdimensionalität scheint mir das zu sein, was Kunst eigentlich spannend macht. Die Attraktivität eines Werkes ist dann nur der Lockstoff oder die äußere Klammer.  

Guido Reuter:
Ein markanter Aspekt in Deinen Bildern ist die Unschärfe. Diese besitzt einen ganz eigenen ästhetischen Reiz und ist zugleich für die Verunsicherung des Betrachters verantwortlich, von der ich oben sprach. Die Unschärfe erzeugt den Effekt, nicht genau zu wissen, was man sieht, wodurch man angestachelt wird, genauer hinzusehen. Letztendlich bekommt man die Gegenstand Deiner Bilder dann aber doch nie genau zu fassen. Was soll der Betrachter sehen, was gibst Du ihm zu sehen?

Franziskus Wendels:
Deine Frage hast Du selber schon fast beantwortet: Die Unschärfer erzeugt den Wunsch, eine Sache genau sehen zu wollen, was sich aber an dem Bild selber nicht vollziehen lässt. So wird die Vorstellung bzw. die Erinnerung auf den Plan gerufen. Dieses Phänomen des „inneren Bildes interessiert mich ungemein. Jeder hat solche Erinnerungsbilder an Dinge, an Orte, an Ereignisse und Begegnungen. Diese Bilder sind oft viel prägender und näher als Photos. Das ist auch ein Grund, warum ich nie nach Photos arbeite, sondern nur nach Skizzen.

Guido Reuter:
Das verstehe ich. Und doch möchte ich noch einmal betonen, dass Du dem Betrachter in Deinen Bildern der letzten Jahre den Boden unten den Füßen wegzuziehen scheinst. Durch die Art Deiner Malerei verliert man als Betrachter die Sicherheit zu wissen, was man sieht.

Franziskus Wendels:
Das ist wahrscheinlich ein weiterer Aspekt der Unschärfe, dass die Bilder den Charakter einer Frage bekommen. Dies gilt besonders für Motive, die uns so vertraut sind und das wir sie nicht mehr bewusst wahrnehmen. Es gilt aber auch für  die Räumlichkeit. Bei einigen Bildern kann man nicht mehr genau sagen wo man sich als Betrachter befindet, ob man Innen oder Außen ist oder sich überhaupt in einen Raum befindet.

Guido Reuter:
Mir fallen bei dieser Beschreibung spontan Deine Installationen ein, bei denen man mit einer besonderen Art von Mehrdimensionalität konfrontiert wird. Diese ergibt sich aus dem Bruch zwischen dem, was man im Hellen sieht, und demjenigen, das sich zeigt, wenn das Licht ausgeht.

Franziskus Wendels:
Diese Arbeiten sind zuerst einmal sehr viel komplexer als Gemälde. Zum einen sind sie dreidimensional und man kann sich in ihnen bewegen. Zum anderen haben sie eine zeitliche Dimension, einen Wechsel von Hell und Dunkel, etwa alle 60 Sekunden. Und sie haben ein Spannungsverhältnis zwischen der Tagrealität und der Nachtrealität.

Guido Reuter:
Ich empfinde das nicht nur als ein Spannungsverhältnis, sondern als eine sehr poetische Gegenüberstellung von zwei Bildern. Man sieht beispielsweise im Hellen eine Ansammlung von Sperrmüll, die ihm Dunkeln zu einer strahlenden Stadtsilhouette wird. Das erzeugt meiner Auffassung nach ein ganz intensives Geflecht von Bedeutungen.

Franziskus Wendels:
Die metaphorische Ebene ist das eine. Was mich aber genau so interessiert, ist der Aspekt des Raumes. Bei den hellen Ansichten steht man unmittelbar vor den Dingen, die den Raum regelrecht zustellen. Als Betrachter bekommt man fast eine Beklemmung. Wenn das Licht ausgeht, tut sich eine große Perspektive und Weite auf. Dieser Aspekt ist ganz wichtig für die Arbeiten.  

Guido Reuter:
Hast Du eine Vorstellung, wohin Dein künstlerischer Weg in der nächsten Zeit führen soll? Hast Du bereits konkrete neue Pläne oder Ideen oder lässt Du dich von Deinem Werk leiten?

Franziskus Wendels:
Ich habe kein genaues Konzept, wo es hingehen könnte, das fände ich auch langweilig. Ich erlebe es aber auch nicht so, dass ich mich von meinem Werk treiben lassen würde, so als säße ich auf einem Floss und wäre der Strömung ausgeliefert. Da rudere ich schon noch etwas. Ich erlebe meine Arbeit mehr wie einen Dialog. Ich habe meistens mehrere Ideen, wohin es gehen könnte. Aber wenn ich versuche, sie zu realisieren, lande ich oft genug in einer Sackgasse oder ich merke, dass ich da nicht hin möchte. Oft sind Bilder auch wie eine Frage und es bleibt einem nichts anderes übrig als beides für eine Zeit lang im Raum stehen zu lassen, die Bilder im Atelier und die aufgeworfene Frage im Kopf. Aber Bilder können einem auch eine Antwort oder einen interessanten Hinweis geben - oft, wenn man es gar nicht erwartet, wenn man mitten in der Arbeit ist, quasi in einem Nebensatz.

(Das Gespräch wurde im April 2008 in Daun geführt)
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