Tayfun Belgin
Bilder aus ferner Nähe


Über die Rolle von Farbe, Licht, Struktur, Rhythmus, Raum und Leere in den Werken von Franziskus Wendels ist bisher schon gesprochen worden. Der Maler Wendels bevorzugt in seinen Werken immer wieder sehr besondere Lichtsituationen, die seine fokussierten Motive in eine Welt des Scheinens versetzen. Dieses Scheinen ist nahe an der Realität, und doch ist die greifbare Welt der Dinge, die unser irdisches Sein bestimmt, weit von ihr entfernt. Allein diese scheinbaren Gegensätze zu vereinen ist Rechtfertigung genug, um Malerei zu schaffen, vor allem in einer Zeit, in der großformatige Fotografien mit recht banalem Inhalt unseren Blick allzu häufig belästigen.

Franziskus Wendels ist ganz offensichtlich ein Meister des berührenden Blicks. Er will der Dinge, die er sieht nicht so richtig habhaft werden. Es ist mehr ein Hinhauchen als ein Besitzergreifen, das seine Malerei auszeichnet. Einige Titel mögen dies bestätigen: „Erwartung, „Heimleuchten, „Die Vereinbarung oder „Seiltänzer. Vor allem im letztgenannten Gemälde (Abb...) mit einer rechtwinklig angeordneten Bildwelt ist von dem aufregenden Balanceakt nichts zu vernehmen. Wendels bevorzugt auch hier eine Sicht aus dem Fenster, die durch malerische Weichzeichnung mehr immateriell als greifbar erscheint. Möglich, das im Blick nach draußen eine Seil gespannt war. Möglich aber auch, dass unsere Instanz der Erinnerung für diese schummerige Lichtsituation verantwortlich ist. Lichtverhältnisse dieser Art würden im Film nichts positives andeuten, im Gegenteil: hier wäre Gefahr im Verzug.

In eine spannungsvolle Erinnerungssituation bringt mich das Gemälde „Leipzig (Abb...) aus dem Jahr 2001. Jedem kurz nach der Wende nach Leipzig mit dem Zug anreisenden bot sich eine ähnliche Lichtsituation im spärlich beleuchteten Hauptbahnhof dar. Die sozialistische Idee und ihre nicht immer heroische Realität wurde kurz vorher begraben, es blieben materielle Brüche eines Mangelalltags zurück. Das künstlich erzeugte Licht der Nacht war 1991 noch eines, welches Phantasien kalter Krieger noch beflügelt hätte. Im fahlen Abendlicht betrat man aus dem Zug heraustretend den Bahnsteig, um sich einem langen, unwegsamem Gang zum Vorplatz des Gebäudes anzuvertrauen. Ähnliches erlebte man in Halle oder Dresden-Neustadt. So war diese Bildsituation auch dort gültig. 10 Jahre später, angekommen in der Konsumrealität der neuen Republik, wünschte man manchmal sich den spannungsvollen Gang zurück - er bot dem Auge mehr Spannung als der wohlgefällige Kaufhausstandard dieser Tage. Das Bild „Leipzig ist somit Konstante unseres kollektiven Gedächtnisses.

Bilder dieser Art, so auch das vor kurzem fertiggemalte „Westende (Abb...), schaffen eine Bildrealität, die die Erinnerung reizt. Wendels ist offensichtlich mehr als ein zaghafter Formulierer. Vermöge seiner Strategie der Andeutung, entsteht ein Bild, das sich fortsetzt: als Erinnerung, als Geschichte, als Erzählung, die nicht dort aufhört, sondern aus der eine andere hervorgehen mag. Sein Licht hätte dem großen Regisseur Hitchcock gefallen, seine Bilddramaturgie einem anderen amerikanischen Künstler: Edward Hopper. Allerdings finden sich in der Malerei Hoppers - als Markenzeichen - Szenen, die Menschen und Ihre Einsamkeit bzw. ihre Selbstverlorenheit zeigen. Ein melancholischer Hauch ist all diesen großartigen Werken zueigen. Wendels Bildregie unterscheidet sich allerdings fundamental von Hopper, auch wenn ein Rest von Einsamkeit hier zum Thema gehören kann.

Wo keine Menschen im Bild sind, liegt der Gedanke nahe, dass der Künstler selbst ein aus der fernen Nähe Beobachtender ist. Was Wendels sieht und empfindet, wird in diesen Bildern offenbar. Das eigentliche Geheimnis dieser Bildwelt liegt jedoch in uns. Wir bestimmen, ob wir uns auf des Malers Welt einlassen: von Leipzig nach irgendwo.


(Dr. Tayfun Belgin ist Kurator im Museum am Ostwall in Dortmund. Dieser Text entstand für den Katalog "Franziskus Wendels - LichtZeit" (2002).)
Seiltänzer
Leipzig
Westend