Giesela Fiedler-Bender
Lichtungen
Neue Arbeiten von Franziskus Wendels

Wie in der Literatur die Erlebnisse, Gefühle und Überlegungen, die zur Entstehung eines Kunstwerkes beitragen können, ganz unterschiedliche Wurzeln haben, ist auch in der bildenden Kunst die kreative Inspiration von sehr persönlichen Vorstellungen und Anliegen geprägt. Sicher überwiegt hier wie dort Autobiographisches und Lyrisches, aus eigener Erfahrung und Gefühl Gewachsenes. Der stark subjektiv gefärbte Ausdruck, das Ergebnis einer individuellen Gestimmtheit, wird kreativ verarbeitet. Gefühle, geboren aus einer Beobachtung, die nach innen geht und die eigene Person in den Mittelpunkt stellt, kennzeichnen viele künstlerische Aussagen. Es gibt aber auch die beschreibende Beobachtung, die eher die Oberfläche abbildet, wie etwa die Reportage, und es finden sich Künstler, die Ordnung und System in  das anscheinend allgegenwärtige Chaos bringen wollen, Künstler, die nach grundlegenden Prinzipien und objektiven Formen suchen. Wer sich nicht auf ein einziges Grundthema und einen persönlichen Ausdruck festlegen will, schreibt in der Literatur auch Aphorismen und spricht damit viele Phänomene an, die sein kritisches Interesse wecken. Der Künstler wird zum genauen, ja scharfen Beobachter, dem Dinge in den Sinn kommen, in die Augen fallen, die von dem unaufmerksamen Passanten kaum wahrgenommen und nicht hinterfragt werden. Der Aphorismus, das „Abgesonderte, ist „ein mit eindrucksvoller Schlagkraft geformter, in sich geschlossener Sinnspruch in Prosa. Aphorismen vermitteln überraschend eine Erkenntnis durch Vergleich, Gegensatz oder Widerspruch und regen zum Nachdenken an. - So die Definition im Großen Brockhaus.

Diese für die Literatur definierten Elemente finden sich in übertragenen Sinn auch in der bildenden Kunst. Franziskus Wendels ist einer jener Künstler, dessen Werk sich nicht auf eine einzige, in Variationen ständig wiederholte Aussage bezieht, sondern der aus der uns umgebenden Außenwelt ganz unterschiedliche Eindrücke aufgreift und bildnerisch umsetzt. Signifikantes und ganz Banales unterzieht er gleichermaßen einer kritischen Analyse um daraus Bilder und Bildobjeke zu formen, in denen er seine Beobachtungen auf das Wesentliche reduziert. Alles Überflüssige, Schmückende, Erzählende wird ausgespart, übrig bleibt die Essenz, die Kernaussage, die sich nicht dem flüchtigen Blick erschließt, sondern denkend gelesen werden muß. So unterschiedlich sich die einzelnen Werkphasen Franziskus Wendels auch darstellen, so vielfältig sind die Zusammenhänge, die seine Arbeiten über lange Zeiträume verbinden. Abgesehen von den monochromen, mehrteiligen Bildern bzw. Bildobjekten, die Raum und Formbeziehungen visualisieren, sind die Wendelsschen Bildentwürfe meist der Alltagswelt entnommen. Die große Werkgruppe der nächtlichen Städteansichten hat ihn bekannt gemacht und steht für das Bildthema, das in seinen vielen unterschiedlichen Erscheinungsformen über alle Jahre hinweg wichtig bleibt. Die Stadt lebt nur durch das Licht, das Licht ist die Farbe. Die Lampen sind die hellen Inseln, die sich vor dem dunklen, dem schwarzen Bildgrund zu Gruppen und Linien formieren. Durch die nächtliche Beleuchtung der Straßen, der Häuser und Autos wird der häßlichste Stadtteil, das unfreundlichste Betongebäude zu einer Lichtgestalt, einem Märchenschloß; alles Störende, Verbaute, architektonisch Mißlungene versinkt im Schwarz der Nacht. Alles, außer dem Licht ist weggelassen, Straßen werden nur durch die Scheinwerfer der Autos erkennbar, Häuser durch beleuchtete Fenster.
Erst durch das Licht der Farben wird aus der schwarzen, undurchdringlichen Fläche ein vielschichtiger Bildraum, der sich als Stadtlandschaft zu erkennen gibt. Viele der Bildfolgen und Bildobjekte Franziskus Wendels´ sind aus seiner Auseinandersetzung mit den Gegensatzpaaren Licht und Dunkel, Schwarz und Weiß entwickelt. Nach seinen Worten "dient die Reduktion auf Schwarz und Weiß immer auch einer inhaltlichen Klärung und Konzentration." Im Gegensatz zu der flimmernden, "impressionistischen" Dynamik der Stadtlandschaften sind seine "Fensterbilder" konzentriert auf ruhige Flächen, reduziert auf die Farben Schwarz und helles Gelb und außerdem von Formen bestimmt, die, könnten sie nicht auch gegenständlich gelesen werden, konstruktiv genannt werden müßten. Beleuchtete Fenster in einem Fassadenausschnitt, helle Rechtecke oder Rhomben, unregelmäßlg über eine dunkle Fläche verteilt, gemalt oder auch als helle Einschnitte einer schwarz bemalten Holzplatte angelegt, lassen eine Vorstellung von Haus und Raum entstehen, von Innenraum und Außenfläche, der beleuchtete Innenraum dringt nach außen und erstrahlt als helle Fläche in der nicht näher bezeichneten nächtlichen Hauswand. Diese Motiv des illuminierten Fensters erscheint auch, herausgelöst aus dem Kontext der Fassade, als einzelnes Bild oder als Bildfolge. Grau-schwarze, sich kreuzende und parallel verlaufende Schattenbalken durchziehen die helle Bildfläche und lassen eine konstruktive Komposition entstehen, die gleichzeitig den stimmungvollen Eindruck einer diffus leuchtenden Fensterfläche vermittelt, die nur durch ein schattenwerfendes Fensterkreuz definiert wird.
Neben diesen ruhigen, meditativ anmutenden Bildern inspirierte der Aufenthalt in Bamberg Franziskus Wendels zu einem ganz anders gearteten Bildzyklus. Die verschnörkelte Pracht üppiger Kronleuchter zaubert hellen Glanz auf die schwarze Bildfläche. Schwebend irgendwo im dunklen, unbestimmten Raum entfalten die strahlenden Lüster barocke Sinnenfreude. Es sind die gleichen Farben wie auf den Fensterbildern, aber während dort das ruhig über die Fläche sich ausbreitenden Licht in klare statische Formen gefaßt ist, formieren sich die Lichtpunkte und Flecken der Kronleuchter zu einem flackerndem Reigen. Hier ist der Künstler wieder ganz nah am dargestellten Gegenstand, läßt aber, wie in den Stadtbildern oder den Fenstern den umgebende Raum unbestimmt im Dunkeln versinken. Obwohl Franziskus Wendels seine Komposition nie eindeutig räumlich definiert, sind seine Bildentwürfe nicht flächig sondern immer auf Raumtiefe hin konzipiert, allein aus der Malerei durch die Farbe und die Größenunterschiede, nicht durch perspektivische Zeichnung. Dies gilt nicht nur für die Nachtbilder mit ihrem schwarzen Fond, auch die farbigen Zyklen mit den Innenräumen, den Treckern, Baggern, Autos oder Turschuhen stellen Raum dar ohne ihn berechenbar zu machen.
Frankziskus Wendels gelingt es mühelos die vermeintlich so streng gezogene Grenze zwischen dem Gegenständlichen und Ungegenständlichen zu überschreiten und mit beiden Möglichkeiten zu jonglieren. Wenn der Ausspruch von Karl Kraus zutrifft, daß ein Künstler jemand sei, der aus Lösungen Rätsel machen könne, ist Franziskus Wendels sicher auch damit gemeint. Seine Arbeit läßt sich nicht ein - nicht zu - nicht unterordnen, die einzelnen Komplexe stehen für sich und aus jeder seiner Werkgruppen hat er ein Rätsel gemacht, zu dessen Lösung er mit seiner Kunst beiträgt.

Gisela Fiedler-Bender
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