Wieland Schmied
Lichter der Großstadt
Neue Bilder von Franziskus Wendels

Licht ist das erste Thema aller Malerei. Ein Thema ohne Ende. Ohne Licht keine Malerei. Für Piero della Francesca war Licht immer geistiges Licht: die Botschaft des Engels. Die Quelle des Lichtes lag im Metaphysischen. Dante imaginierte das Empyreum als Lichthimmel. Diese Licht hat sich in der Geschichte der abendländische Malerei verdunkelt. Bei Georges de la Tour lebt es im Schein einer Kerze, deren zarte Flamme den Schutz der menschlichen Hand braucht. Bei Claude Lorrain liegt es als Abglanz des Unendlichen über der Landschaft, Erinnerung an das verlorene Paradies.
Dieses Licht will sich zweihundert Jahre später ganz entziehen: William Turner muß es aus sich heraus entzünden um es fassen zu können. Der Himmel über Venedig, die Dämmerung über der Themse reflektiert ein Feuer von innen.Turner war Zeitgenosse der Romantiker. Wie nur die Manieristen vor ihnen (die sich an Feuerwerk und Feuersbrünsten delektierten) und nach ihnen die Künstler des Symbolismus (die vom Widerschein glänzenden Geschmeides fasziniert waren) liebten sie die Nacht, in die manchmal ein Mond hineinsah ohne sie wirklich zu erhellen. Um den Mond war immer Geheimnis. War er nicht der letzte Bote mystischen Lichtes, das uns einmal in lang vergangener Zeit in die Seele geschienen war?
Die Aufklärung bedeutet zugleich die Verdunklung des Lichts aus einer anderen Welt. Das Ende der Romantik markiert dann endgültig die historische Stunde in der wir eine Schwelle überschritten haben und ganz ins Diesseits eingetreten sind. Was wir zuvor gesehen hatten wurde zur verblassenden Erinnerung. Über dem 19. Jahrhundert ging eine neue Sonne auf: das Licht der wirklichen Welt. Man hat die Impressionisten die Maler des Lichts genannt, und es ist kein Zufall, daß das erste berühmt geworden Bild des Impressionismus - es stammt von Claude Monet - einen Sonnenaufgang zeigt.
Das Licht der Moderne ist disparat. Die Futuristen sangen das Lob der Elektrizität und erklärten dem Mondschein den Krieg. Das künstliche Licht begann Triumphe zu feiern. De Chiricos Bühnenräume werden von unsichtbaren Scheinwerfern beherrscht, die einen Kampf der Schatten inszenieren. Edward Hopper entdeckte das gleiche kalte Licht in der Natur über den Küsten Neuenglands. Und wie oft ist Neonlicht gemalt worden, ehe es zum realen Bestandteil von Bildern gemacht wurde. Dies als Andeutung, uns in Erinnerung zu rufen, wieviele Wandlungen das Licht im Lauf der Kunstgeschichte unterworfen war. Von der Malerei eines Piero sind wir heute Lichtjahre weit entfernt.

Ein Künstler unserer Tage, der sich in seiner Malerei bewußt mit dem Licht auseinandersetzt, ja es zum Thema und Gegenstand seiner Bilder macht, muß das alles wissen. Er muß seinen Standpunkt in der Geschichte kennen, wenn er weitergehen, ihn gar transzendieren will. Franziskus Wendels, für den diese Zeilen geschrieben werden, scheint mir einer von denen, die in diesem Sinne weitergehen wollen.
Franziskus Wendels hat sich in seiner Beschäftigung mit dem Licht schon früh konsequent drei Beschränkunge auferlegt:
- er malt nur künstliches Licht;
- er bevorzugt Nachtbilder;
- ihn fasziniert der Raum der Großstadt und also die Großstadtnacht und die Lichter der Großstadt.
Es sind die Lichter, die der Großstadt Kontur und Struktur geben, von denen her wir die Gestalt der Großstadt erfassen. Dabei trennt Franziskus Wendels prinzipiell Lichtquelle und Lichtschein. Die Lampen leuchten, aber sie erhellen nicht. Der schwarze Fond, auf den Franziskus Wendels seine Lichtpunkte und Lichtflecken wie Sterne ins Firmament setzt, bleibt übermächtig. Die Lichtpunkte fallen in die Finsternis wie Tropfen auf den heißen Stein. Und auch was sich dem ersten Blick als Lichtschein darbietet ist nichts als Bewegungsspur: wie sie die weißen Autoscheinwerfer und die roten Rückleuchten in endlos dahinfliessendem Verkehr flüchtig ins Dunkel der Nacht schreiben.
Wendels´ Aufenthalt in Bamberg, dieser mittelalterlich geprägten Stadt, hat die Optik des Künstlers und damit seinen Blick auf das Licht noch einmal verändert. Er, der auf dem Land aufgewachsen und seit den Studienjahren ganz der Großstadt verfallen ist, sagt, er habe sich in Bamberg zunächst nur schwer zurechtgefunden. Bamberg hat seinen Blick von den großen Stadtpanoramen - die meist wie aus dem Flugzeug oder von einem Fernsehturm aus gesehen scheinen - auf das maßstäblich kleinere und Näherliegende, so von außen auf die nächtliche Fensterfont und dann in Innenräume geführt. Eine Serie von Fensterbildern (einmal das bevorzugte Thema des in seinen späten Jahren auf sich selbst zurückgeworfenen Oskar Schlemmer) stellt uns einerseits die Anonymität nachtdunkler Hausfassaden vor Augen, unregelmäßig unterbrochen durch milchig leuchtende Fensterscheiben (um die sich zaghaft die Aura eines "Lichthofs" bildet), andererseits finden wir uns plötzlich in dunklen Räumen, in die von außen diffuses Licht fällt, aber wir sind zu weit von den Fensteröffnungen entfernt, um durch sie hindurchschauen zu können.
Schon zuvor hatte Franziskus Wendels Interieurs gemalt. In ihnen spielen Fernsehapparate die wichtigste Rolle. Die Lichtexplosion auf dem Bildschirm vernichtet alles, was sich als Bild hätte zeigen können. Diese radikale Aussage wurde freilich von dem schauerlich spiessigen Mobiliar beeinträchtigt, das sich ungebührlich in den Vordergrund drängt. Da bedeuten die jetzt entstandenen Bilder mit Kronleuchtern eine Überraschung. Sie eröffnen - nach den nächtlichen Innenräumen mit ihrem unbestimmbaren Fensterlicht - noch einmal eine ganz neue Möglichkeit des Interieurs. Das Merkwürdige ist: Franziskus Wendels hat die Kristallüster gegen einen schwarzen Hintergrund gesetzt, als wäre ihr Raum das Weltall und nicht das Interieur eines gepflegten Bürgerhauses. So wenig wie eine seiner Straßenlaternen die Straße zu erhellen vermag, so wenig kann der Kronleuchter die Gegenstände seiner Umgebung erhellen. Sein Licht wird aufgesaugt von einem schwarzen Loch. Die Kronleuchter des Franziskus Wendels tauchen in unser Blickfeld, erglühen von inwendigem Licht, geben sich in allen Details zu erkennen, mit kerzenförmigen Leuchten und reflektierendem Kristallglas, aber dieses Licht versickert, sie selbst gehen unter in der Schwärze der Nacht. Die Nacht scheint allmächtig, voll Magie, voll Mystik. Ob uns vielleicht die Nacht das sein möchte, was einmal das Licht war? Damit kehrten wir zurück an die Schwelle der Romantik, und vernehmen Novalis´ "Hymnen an die Nacht": " Jahrtausende zogen abwärts in die Ferne, wie Ungewitter....." In den "Kronleuchter" - Bildern des Franziskus Wendels lebt das romantische Bamberg als der Ort, an dem Spuk leicht Realität werden kann - wie schon manch einer hier erfahren hat.
Domino
Elektra
Prophezeiung 1
Kleine Brüder 1